Öfter gescheitert heißt eher erfolgreich

Schon einmal an Selbstständigkeit gedacht? Was die Entscheidung blockiert und wie Erfolgreiche Risikomanagement betreiben, erklärt Entrepreneurship-Professor Dietmar Grichnik
im Interview in der Zeitung „Der Standard“.

 

STANDARD: Was steckt hinter der Zögerlichkeit, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen?

Grichnik: Die große Bremse ist die Angst zu scheitern. Sie ist die Ausrede Nummer eins dafür, nicht entschlossen den Versuch zu wagen, sich beruflich auf die eigenen Füße zu stellen. Hinzu kommt, dass auch der Arbeitsmarkt seinen Teil dazu beiträgt, die Komfortzone der festen Anstellung nicht zu verlassen. Und schließlich gibt es da ja auch noch die Bedenkenträger aus dem Familien-, Freundes- und Bekanntenkreis.

 

STANDARD: Und das ist falsch. Warum?

Grichnik: Weil der Mensch ein Sinnsuchender ist. Wird die Selbstständigkeit aus dieser Perspektive betrachtet, dann sind die Opportunitätskosten der Sinnhaftigkeit, also mein ganzes Berufsleben einer für mich nicht wirklich Sinn stiftenden Beschäftigung nachzugehen, höher, als die finanziellen Opportunitätskosten, ein sicheres, aber wenig erfüllendes festes Anstellungsverhältnis zu verlassen. Bei meiner Arbeit treffe ich viele Menschen, die den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben. Viele berichten davon, zunächst oder auch längerfristig weniger zu verdienen als vorher, viel mehr arbeiten zu müssen, aber bei weitem zufriedener zu sein. Diese Zufriedenheit, die ganz stark auch aus der gefundenen Sinnhaftigkeit des Tuns erwächst, wiegt für sie langfristig doppelt und dreifach die Mühen auf.

 

STANDARD: Und das Risiko?

Grichnik: Ratsam ist, dem Beispiel erfahrener Unternehmerinnen und Unternehmer zu folgen. Sie definieren einen ertragbaren Verlust, das heißt, sie legen monetär, psychologisch und sozial einen für sie maximalen Zeit- und Kapitalbetrag fest, den sie bereit sind zu verlieren. Das begrenzt das Risiko auf ein erträgliches Maß und ermöglicht den Schritt ins unternehmerische Neuland, in das Ungewisse.

 

STANDARD: Sie sind fest davon überzeugt, dass in jedem ein Unternehmer steckt. Was bringt Sie zu dieser Überzeugung?

Grichnik: Sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse als auch Erfahrung aus meiner Arbeit! Sie haben mir gezeigt, dass niemand als Unternehmer geboren wird, aber jeder Mensch die Voraussetzungen dazu mitbringt. Kinder demonstrieren das. Kinder gehören für mich zu den unternehmerischsten Wesen schlechthin. Ihre unerschöpfliche Kreativität beim Spielen, ihre Kommunikationsfähigkeit, aber auch die Risikotoleranz in ihren Spielen sind unternehmerische Eigenschaften par excellence. Leider lassen sich viele im Laufe ihres Lebens diese Unternehmungslust und den Aktionsradius, in dem die Freude daran ausprobiert wird, abtrainieren. Das heißt aber nicht, dass sie gänzlich verloren ist. Statistisch lässt sich die Selbstständigkeit als Karriereepisode nachzeichnen. Sie kann genau wie eine Berufsausbildung oder ein Studium einen Teil des Lebens einnehmen, früher oder später in jedem Berufsleben zur Realität werden.

 

STANDARD: Aber gibt es nicht auch Mentalitäten, die weniger an der Selbstständigkeit Geschmack finden lassen?

Grichnik: Und ob es die gibt! Selbstständigkeit verlangt die Bereitschaft, sich jenseits fester Arbeitszeiten zu engagieren und, bitte schön, sich auch zu strapazieren. Unter Mentalitätsgesichtspunkten verlangt Selbstständigkeit Durchhaltewillen und Verzicht. Und ein gerüttelt Maß an Ambiguitäts- und Frustrationstoleranz. Man muss spannungsvolle unklare Situationen aushalten und Rückschläge wegstecken können. Das verlangt eine beachtliche Willenskraft, Zähigkeit und Zielstrebigkeit. Und, auch Mentalitätssache, die Leidenschaft für ein Produkt und ein unternehmerisches Vorhaben. Nur diese mentale Verfassung trägt durch viele Stürme der Selbstständigkeit und ist fraglos einer ihrer zentralen Erfolgsfaktoren. Sich bei Widerständen nicht gleich entmutigen zu lassen, sondern beharrlich an deren Überwindung und an verbesserten Lösungen für die gewählte unternehmerische Aufgabe zu arbeiten, das bringt wertvolle Erfahrung, das ist das Erfolgsdoping in der Selbstständigkeit schlechthin.

 

STANDARD: Wovon hängt unternehmerischer Erfolg letztlich ab?

Grichnik: Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, sich in der Selbstständigkeit zu behaupten, mit der Anzahl der Versuche wächst. Wenn auch niemand Misserfolgserlebnisse besonders liebt: Aus ihnen ist mehr zu lernen als aus Erfolgen. Vorausgesetzt natürlich, man versinkt nicht in Frustrationen, sondern macht sich daran zu analysieren und darüber nachzudenken, was warum schiefgelaufen ist. Durch diese Sondierungsarbeiten wird der Lernprozess intensiviert und die Handlungssicherheit erhöht. Erkennbar: Schlussendlich erfolgreiche Selbstständigkeit gibt es nicht ohne überlegte, systematische Beharrlichkeit, Selbstkritik, beständige unvoreingenommene Lernbereitschaft und Mut.

 

STANDARD: Ihr Rat lautet folglich?

Grichnik: Wie anders lässt sich der so wichtige Erfahrungsschatz aufbauen und das soziale Netzwerk aktivieren, um die Reichweite des Vorhabens zu erhöhen und wichtige Ressourcen für die Skalierung des Start-ups zu gewinnen, über die man selbst nicht verfügt? Gründer sind notorisch mittellos, dafür aber häufig reich an Ressourcen in ihrem Netzwerk. Und im Weiteren bedeutet ins Tun zu kommen das frühe Testen der konzipierten Kundenproblemlösung am Markt. Das ist für den so wichtigen Product-Market-Fit am Kunden entscheidend, um eine Skalierung – ein Wachstum des Ventures – zu erreichen und es zum wirtschaftlichen Erfolg zu führen. Wird für möglichst viele Kunden ein relevantes Problem besser als durch bestehende Angebote gelöst, stellt das den Product- Market-Fit her und eröffnet ein skalierbares Geschäftsmodell, dass allein als Solo-Entrepreneur mit einem guten Netzwerk oder als interdisziplinäres Team mit relevanter Erfahrung am Markt umgesetzt werden kann.

 

STANDARD: Ein Spaziergang ist es nie …

Grichnik: Das „Walk the extra mile!“ ist für Entrepreneure Arbeitsalltag! Und der Antrieb dazu ist die persönliche Gestaltungsfreiheit. Diese Freiheit treibt sie zu Höchstleistungen an, aus denen sie hohes Selbstwirksamkeitsempfinden gewinnen, das für sie Quell von Zufriedenheit und Glück ist. Diese Zusammenhänge sind von der psychologischen Forschung bestens belegt. Der Kraft- und Zeitaufwand für ein unternehmerisches Leben darf nicht bagatellisiert werden. Jeder muss mit sich selber ausmachen, welchen Einsatz er zu leisten bereit ist und für welchen Lebensentwurf er sich entscheidet.

 

 

Veröffentlicht in KarrierenStandard, 8./9. Juli 2017, Österreich